
Man kann Dialekt nicht verbieten – ohne Menschen zu verbieten
Wir haben uns im Deutschunterricht mit verschiedenen Dialekten beschäftigt und darüber gesprochen, wie sie entstehen und was sie über uns verraten. Wir haben gelernt, dass Dialekte Teil unserer Herkunft sind und oft mehr über eine Person erzählen, als man auf den ersten Blick denkt. Dabei habe ich mich gefragt: Kann man Dialekt überhaupt verbieten, ohne damit den Menschen selbst zu verbieten ohne ihm seine Identität zu nehmen?
Stell dir vor, jemand würde dir sagen, du darfst deinen Dialekt nicht mehr sprechen. Keine vertrauten Wörter mehr, keine Klänge deiner Kindheit, kein „Grüezi“, kein „Hoi“, keine kleinen Eigenheiten, die dich sofort als dich erkennbar machen. Stattdessen sollst du so sprechen wie alle anderen neutral, glatt, austauschbar.
Anfangs klingt das vielleicht harmlos. Hochdeutsch ist ja praktisch, verständlich, „korrekt“. Aber stell dir eine Welt vor, in der alle gleich sprechen. In der kein Tonfall mehr verrät, woher jemand kommt, und kein Wort mehr an Zuhause erinnert. Eine Welt ohne sprachliche Vielfalt wäre wie ein Gemälde in nur einer Farbe ordentlich, aber leblos.
Dialekte sind das, was Sprache bunt, warm und lebendig macht. Sie tragen Geschichte in sich, Kultur, Witz und Gefühl. Wenn wir sie verlieren oder gar verbieten, verlieren wir mehr als nur Wörter. Wir verlieren ein Stück Identität. Denn Sprache ist kein Kleid, das man einfach wechseln kann, sondern Teil dessen, wer wir sind.
Und wer wollte schon in einer Welt leben, in der alle gleich klingen, gleich denken, gleich fühlen? Ohne die Vielfalt unserer Stimmen gäbe es keine Nähe, keine Besonderheit und vielleicht auch keine Freude mehr am Sprechen.
Schon oft ist es im Schulalltag passiert, dass jemand sich im Unterricht beteiligt und dabei unbewusst in Umgangssprache oder Dialekt spricht. Viele Lehrpersonen korrigieren das sofort. Wahrscheinlich tun sie das, um eine klare sprachliche Umgebung zu schaffen, damit alle einander verstehen und sich auf das Wesentliche konzentrieren können und das ist durchaus verständlich.
Doch man stelle sich einen Ort vor, zum Beispiel ein Lokal, in dem Dialekt verboten wäre. Dort gäbe es keinen wirklichen Grund für ein solches Verbot ausser, man wollte ein Lokal ohne Vielfalt, ohne Kultur, ohne Eigenheit. Ein Ort voller Menschen, die austauschbar wären, weil sie klingen wie alle anderen. Menschen ohne sprachliche Farbe, ohne Geschichte, ohne Stimme. Und wahrscheinlich wäre der Besitzer ein Mensch, der Angst vor allem hat, was anders klingt.
«Sprache ist das Zuhause des Seins.» – Martin Heidegger.
Dieses Zitat trifft es genau. Sprache und besonders der Dialekt ist mehr als ein Mittel zur Verständigung. Sie ist unser Zuhause. Wenn man Dialekt verbietet, nimmt man Menschen ihr sprachliches Zuhause, ihr Zugehörigkeitsgefühl.
Doch Dialekte sind nicht nur ein Teil der Vergangenheit, sie leben auch heute weiter. In Liedern, in sozialen Medien, in Gesprächen auf dem Pausenplatz. Immer mehr junge Menschen sprechen wieder bewusst Dialekt, weil sie spüren, dass er sie einzigartig macht. Dialekt ist kein Zeichen von Rückständigkeit, sondern von Selbstbewusstsein. Er ist die Sprache des Herzens, ehrlich, direkt und unverstellt.
Natürlich braucht es auch das Hochdeutsche in der Schule, in den Medien, im Beruf. Es sorgt für Verständigung und Einheit. Aber Einheit darf nicht Uniformität bedeuten. Wir können dieselbe Sprache verstehen, ohne dieselbe Sprache zu sprechen. Die Vielfalt der Dialekte zeigt, dass wir verschieden sind und genau das ist unsere Stärke.
Wer Dialekt verbietet, verbietet nicht nur eine Art zu sprechen. Er verbietet die Freude, sich selbst zu sein. Denn wer seinen Dialekt verliert, verliert auch ein Stück seiner Seele.
Quellenangabe: Unterrichtsmaterial von Frau Glaus
Blogbeitrag zum Themenbereich Sprachgeschichte
von Henri Errass, Kirchenfeldgymnasium Bern.